Freitag, 6. Oktober 2017

Station 1: Azenhas Do Mar - Die Arbeit

Am Rande eines Dorfes befindet sich ein kleines Paradies! Hier scheint die Zeit stillzustehen, das Leben richtet sich vollkommen nach dem Rhythmus der Tiere. Dreizehn Pferde leben hier, außerdem drei Ziegen, vier Katzen und ein Hund.
Jeden Morgen pünktlich um acht hat dieser bunte Haufen Hunger, und somit beginnt mein Arbeitstag. Die Arbeit ist anstrengend, aber macht glücklich! Für mich gibt es kaum ein schöneres Gefühl, als mich mittags erschöpft und hungrig auf mein Mittagessen zu stürzen und zu wissen, dass die Pferde gerade ihr Heu kauen, versorgt sind und in der nächsten Nacht alle in sauberen, trockenen Boxen schlafen werden. Und wenn ich dann noch merke, wie die Pferde mir langsam immer mehr vertrauen, wie ich mittlerweile nur noch halb so lang brauche, um unsere älteste Stute zum Verlassen ihrer Box zu überreden und zum ersten Mal ohne größere Zwischenfälle unseren Hengst auf die Weide bringe, dann bin ich zufrieden.

Der Hof, auf dem ich lebe und arbeite, ist zeitgleich ein Zentrum für tiergestützte Psychotherapie. Mehrere Psychologen arbeiten hier, und die Pferde sind vierbeinige Therapeuten. Hier wird vielen Menschen geholfen, bei denen die konventionelle Therapie allein nicht wirkungsvoll genug war, selbst Gruppentherapien für Suchtkranke werden angeboten. Es war das erste Zentrum dieser Art in Portugal.
Außerdem leben auf dem Hof fast ausschließlich aus schlechten Verhältnissen gerettete Tiere: Das ehemalige Turnierpferd, das nach einem Beinbruch für den Sport nutzlos geworden ist, neben dem allein zurückgelassenen Hund. Mit meiner ehrenamtlichen Arbeit hier auf dem Hof unterstütze ich also wirklich die richtigen Menschen, und das fühlt sich verdammt gut an!

Der Umgang mit den Pferden ist vollkommen anders, als ich es bisher kannte. Die Tiere werden nicht geritten. Stattdessen wird ausschließlich vom Boden aus, also auf Augenhöhe, mit ihnen gearbeitet. Das Pferd bestimmt den Rhythmus, alles passiert zwanglos. Trainiert wird, indem der Mensch eine Verbindung zum Pferd aufbaut. Der Mensch spiegelt das Pferd, das Pferd den Menschen, und plötzlich rennen Beide nebeneinander her. Wirklich beeindruckend. Bis vor Kurzem war ich mir nicht einmal sicher, dass so etwas funktionieren kann, jetzt lerne ich selbst diese besondere Art des Umgangs: Zwanglos, auf Augenhöhe, und daran orientiert, wie sich die Tiere untereinander in der freien Natur verhalten.

Drama, Baby! Der Hengst und ich

Mittlerweile sind mir die einzelnen Pferde wirklich ans Herz gewachsen. Da ist zum Beispiel die riesige weiße Stute, die ihre Box quasi direkt neben meinem Schlafzimmer hat. Sie ist die Herdenchefin, gleichzeitig ein unglaublich gutmütiges Tier, aber wenn sie mir nachläuft und den Kopf hebt, dann habe ich das Gefühl, eine Giraffe hinter mir zu haben.
Der Gegensatz dazu ist die kleinste Stute der Herde. Sie sieht beinah zerbrechlich aus, ist ständig krank und wenn sie sich nicht gut fühlt, dann möchte sie am liebsten den ganzen Tag kuscheln und verwöhnt werden.
Ein anderer Liebling von mir ist kein Mitglied der Herde. Während die anderen Pferde portugiesische Lusitanos sind, also sehr elegante, schmale Pferde, ist diese Stute ein Kaltblut. Groß, massig, schwer. Ihr Kopf ist so groß wie mein Oberkörper, ihre Hufe haben den Durchmesser von Tellern. Ich mag sie sehr, gehe fast jeden Tag mit ihr spazieren. Sie ist der größte Angsthase, findet vor allem Dinge gruselig, die deutlich kleiner als sie selbst sind. Besonders klug ist sie nicht. Regelmäßig klemmt sie sich zwischen einem Baum und dem Zaun ein, weil sie nicht versteht, dass sie bloß einen Schritt rückwärts machen müsste, um sich zu befreien. Bei Menschen würde sie sagen: Was ihr im Kopf fehlt, das gleicht sie durch Kraft aus. Dieses Pferd nimmt nie Umwege. Sie zerreißt Elektrozäune, läuft Büsche, Hecken und sogar kleinere Bäume einfach um, anstatt um sie herum zu laufen. Wenn sie dann Ärger bekommt, dann schaut sie unschuldig mit ihren Riesenaugen umher und versteht die Welt nicht mehr.

Ein ganz besonderes Pferd ist aber unser Hengst - meine persönliche Herausforderung. Im ersten Moment ist dieses Tier wirklich einschüchternd, wenn man ihn besser kennt, merkt man aber: Er möchte niemandem etwas tun, er hofft bloß auf Aufmerksamkeit. Jeden Morgen beginnt seine persönliche Show: Kurz bevor das Futter kommt, klingt es, als würde er den Stall zu Kleinholz verarbeiten, dazu wiehert und brüllt er, um auf jeden Fall alle anderen Pferde zu übertönen. Dieses Pferd muss wirklich Hunger haben! Nein. Hat er nicht. Im Grunde ist ihm das Futter egal; Kaum liegt es in seiner Box, interessiert es ihn nicht mehr. Hier geht es um die Show.
Wenn ich ihn auf die Weide bringe, dann versucht er immer, mich zu beißen. Jeden Morgen müssen wir erneut klären, wer von uns Beiden das Sagen hat. Er führt sich auf, als könnte er es kaum erwarten, endlich auf die Weide zu kommen - bis er den Stall verlassen hat. Dann ist die Weide plötzlich nicht mehr interessant.
Anfangs ist er mehrere Male losgaloppiert, während ich noch am Führstrick hänge. Mit jedem Tag kam ich besser mit ihm klar, bis er schließlich vollkommen entspannt neben mir herlief, mich respektierte und auf meine Kommandos wartete.
Auf der Weide folgt dann der dritte und letzte Akt der morgendlichen Hengst-Show: Es wird mit erhobenen Schweif am Zaun entlang galoppiert, laut gewiehrt und der Welt gezeigt: Ich bin der Mann! Seht mich an! Dann wirft er sich in den Sand, wälzt sich ausgiebig und ist von da an vollkommen ruhig und gelassen. Diese männliche Drama-Queen!

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