Freitag, 11. Mai 2018

Hallo? Versteht mich jemand?

Heute geht es mal nicht um ein neues Projekt oder einen Reisebericht, sondern um ein anderes Thema: Die Sprache. Wie ist es, in einem Land zu leben, ohne die Sprache zu sprechen?


Ich sitze in einem Bus, der gerade die einzige größere Straße in der Gegend hinunterfährt, um ins nächste Dorf zu gelangen. Links von der Straße: Felder, Hügel, Kühe. Rechts von der Straße: Felder, Hügel, noch mehr Kühe. Ich bin mitten im Nirgendwo. Aber ich bin nicht allein.

Der Bus ist ein Schulbus und außer der Kinder steigt nie irgendein anderer Mensch ein. Wer so abgelegen wohnt, hat ein eigenes Auto. Aber an diesem Morgen steigt eben doch jemand ein, nämlich ich: Ich sehe nicht aus, als wäre ich von hier und erkläre dem Busfahrer in abenteuerlichem Portugiesisch, wohin ich möchte. Damit bin ich die Hauptattraktion! Quer durch den Bus wird sich über mich unterhalten. Am Anfang verstehe ich einige Sätze, ich verstehe, dass sie sich über die Fremde wundern, sich gegenseitig ärgern, dass jemand mutiges mich auf Englisch ansprechen soll. Jemand sagt anscheinend etwas lustiges, die anderen Kinder lachen. Sie reden immer mehr durcheinander, in Umgangssprache, zur selben Zeit. Ich verstehe kein Wort mehr.

Egal, wie selbstbewusst man ist oder wie wenig Wert auf die Meinung Anderer legt, so eine Situation ist wohl für niemanden angenehm. Ich verstehe nicht, ob immer noch über mich gesprochen und ob über mich gelacht wird, und das ist kein gutes Gefühl.


Ich habe mich freiwillig dazu entschieden, in ein fremdes Land zu gehen und erst hier die Sprache zu lernen. Wie ist es für Menschen, denen es anders geht? Was ist mit Flüchtlingen, die gezwungenermaßen ihre Heimat verlassen mussten und jetzt ohne Sprachkenntnisse in einem fremden Land sind? Mittlerweile kann ich mir gut vorstellen, wie schwierig es sein muss. Und seit ich mich mit der neuen Fremdsprache (und dadurch auch automatisch mit meiner eigenen Sprache) auseinandersetze, habe ich viel größeren Respekt vor jedem Menschen, der Deutsch als Fremdsprache lernt.

Also, alles blöd?


Nein, überhaupt nicht!! Situationen wie die im Schulbus sind die Ausnahme. Tatsächlich sind die Portugiesen unglaublich freundlich und herzlich, viele sprechen englisch, die übrigen bringen große Geduld auf, um mein Abenteuer-Portugiesisch mit deutscher Aussprache und fantasievoller Grammatik zu verstehen. Notfalls wird sich auch mit Händen und Füßen verständigt. 

Das ist eine weitere Sache, die ich hier gelernt habe: Verständigung funktioniert nicht allein über die Sprache. Man kann Verbindungen zu Menschen aufbauen, ohne dieselben Wörter kennen zu müssen. 

Natürlich war ich anfangs in manchen Situationen unsicher. Mittlerweile spreche ich die Sprache gut genug, um meinen Alltag und grundlegende Probleme zu bewältigen, Smalltalk funktioniert auch. Alle anderen Herausforderungen gehe ich mittlerweile mit portugiesischer Gelassenheit an. 

Sei nicht so höflich, ich will lernen!


Sprachen lernen ist wohl ein Thema für sich. Zu Beginn der Reise hatte ich gehofft, alles würde sich "irgendwie ergeben" und ich könnte die Sprache quasi nebenbei lernen, indem ich in diesem Land lebe. Im Nachhinein ganz schön naiv... In Deutschland hatte ich mir eine Sprachlern-App auf mein Handy geladen, die mir Sätze wie "In welchem Hotel leben Sie?" beigebracht hat (dazu noch in merkwürdig gestelztem portugiesisch, so spricht kein Mensch!). 
Dazu habe ich mir einen Übersetzer heruntergeladen und mich somit vorbereitet gefühlt - zumindest so lange, bis ich mich nach meiner Ankunft in Lissabon auf den Weg zu meinem ersten Projekt gemacht habe und der Busfahrer kein Englisch gesprochen hat. Gar nichts wusste ich!

Das war meine erste Erkenntnis. Die zweite kam sehr viel später, nachdem ich beim Sprachenlernen irgendwann keine Fortschritte mehr gemacht habe: Komplett ohne Grammatik geht es nicht, zumindest nicht für mich. Es war nicht einfach, einen Weg zu finden, um zumindest die Grundlagen zu lernen, weil die meisten Lernprogramme für brasilianisches Portugiesisch sind. Vor einigen Monaten habe ich dann aber ein passendes Online-Programm gefunden. Es gehört viel Disziplin dazu, regelmäßig zu lernen, wenn alles andere gerade scheinbar interessanter und wichtiger ist, aber es hilft mir. 

Was natürlich auch hilft, ist Übung. Um die Sprache zu lernen, muss man sie anwenden. Dummerweise sehe ich nun mal überhaupt nicht portugiesisch aus. In größeren Städten und Touristenregionen werde ich oft sofort auf englisch angesprochen oder mir wird auf englisch geantwortet, obwohl ich auf portugiesisch gefragt habe. Das ist unglaublich rücksichtsvoll und höflich, hilft mir aber nicht. Manchmal entstehen ziemlich absurde Gespräche, wenn ich beharrlich portugiesisch spreche, während mir der portugiesische Kellner oder Verkäufer genau so beharrlich auf englisch antwortet. Vielleicht will er auch bloß sein englisch trainieren...

Ups, jetzt ist der Artikel ziemlich lang geworden... Ich hoffe, ich habe niemanden mit der Textmasse erschlagen!

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