Donnerstag, 21. Juni 2018

„Santo Antonio ist ein echt cooler Typ!“ - Ein Reisebericht

Kein Plan, kein Ziel, zwei Wochen Zeit. Das ist Freiheit!
In diesem Artikel geht es um das vollkommen flexible Reisen, um die Orte, die ich dabei gesehen habe, um Paradiese und Monster-Wellen, vor allem aber auch um das legendäre Festa de Santo Antonio in Lissabon



Mittlerweile habe ich wirklich viel von Portugal gesehen. Ich war in den größten Städten und bekanntesten Küstenorten, habe also nichts, was ich unbedingt sehen müsste. Somit bin ich in diesen zwei Wochen vollkommen frei. Jemand erzählt mir von irgendeinem schönen Ort, also fahre ich dort hin. Mir gefällt es irgendwo besonders gut, also bleibe ich länger. Ich verpasse den Bus, also nehme ich den nächsten. Oder den in die andere Richtung. Meine Unterkunft buche ich frühestens auf der Fahrt in den jeweiligen Ort, am liebsten laufe ich direkt ohne irgendeine Reservierung zu den jeweiligen Hostels (das ist sogar billiger, als online zu buchen!).

Meine Reise beginnt in Aljezur, dem Ort meines letzten Projekts. Wenn man in Portugal reisen will, ist es immer sinnvoll, nach Lissabon zu fahren. Von hier aus gibt es Verbindungen in alle Richtungen. Aber als ich mir die Fahrtzeiten von Aljezur nach Lissabon ansehe, entscheide ich mich, die Strecke nicht an einem Tag zu fahren. Für eine eigentlich nicht besonders lange Strecke braucht der Bus 4 Stunden 30, fährt dabei nicht über die Autobahn, sondern über kurvige Straßen durch die Hügel und hält in vielen kleinen Orten an. Ich habe Zeit und entscheide mich für einen Zwischenstopp. Jemand erzählt mir, in Milfontes sei es schön, und ein Hostel gibt es dort auch.



Vila Nova de Milfontes




Der Ort ist ohne Auto nur schwer zu erreichen. Es gibt keinen Bahnhof und nur wenige Busverbindungen, und in Reiseführern wird der Ort nur selten erwähnt. Somit verirren sich nur wenige ausländische Touristen hierher. Bei den Portugiesen ist Milfontes dagegen sehr beliebt.
Der Ort liegt direkt an einer Flussmündung, hat einen schönen Ortskern und tolle Strände.
Die Stimmung ist sehr entspannt und die Menschen haben die typische Alentejo-Mentalität (Erklärung: Alentejo heißt die Region südlich von Lissabon. Ich habe keine Ahnung, warum die Leute hier alles noch gelassener sehen als im Rest des Landes).Nichts geht schnell, morgens verlässt man nicht vor 11 das Haus, vieles wirkt irgendwie improvisiert und selbstgemacht. Ich bin morgens um 9 der erste Kunde im Supermarkt. Im Regal stehen Produkte
aus dem Garten der Kassiererin, die Verkäuferin fängt sofort ein Gespräch an. Ich kaufe frisches Obst und frühstücke am menschenleeren Strand.
Der Ort gefällt mir gut, also werden aus einer Nacht zwei: Ich miete ein Fahrrad und fahre ins Inland und dort die Hügel hinauf (oder, wie der Norddeutsche sagt: Die verdammt hohen Berge). Irgendwann finde ich einen kleinen Weg, bei dem jetzt nicht direkt stand, dass man dort lang fahren durfte. Es wurde aber auch nicht eindeutig verboten... Ich klettere einen kleinen Pfad einer Eukalyptus-Plantage hinunter und komme schließlich am Flussufer an. Die Landschaft ist wunderschön, und weit und breit ist kein Mensch zu sehen.

 

 

 

Lissabon


Lissabon ist ein guter Ort, um Leute kennenzulernen. Vor allem zu dieser Jahreszeit ist die Stadt voll von Menschen aus aller Welt. Im Gegensatz zu Städtetouristen und Weltreisenden, die nur wenig Zeit haben, muss ich mich nicht stressen. Die Atmosphäre ist toll: Juni ist nämlich der Monat der Feste und überall in der Stadt gibt es kleinere Märkte. Ich genieße die Stimmung und die Nächte auf dem Bairro Alto, Lissabons legendärem Bar-Bezirk. Nach dem Landleben ein schöner Kontrast! Nach zwei Nächten ziehe ich weiter.


Peniche


Peniche ist bekannt für tolle Surf-Strände. Obwohl ich nicht surfe und der Ort selbst nicht besonders schön ist, habe ich hier die längste Zeit verbracht.
Ich beobachte die Surfer und mache lange Strandspaziergänge, laufe bei einem davon aus Versehen in den Nachbarort (irgendwie den richtigen Zeitpunkt zum Umkehren verpasst...), ich erkunde die Halbinsel mit dem Fahrrad und verbringe meine Abende mit anderen Backpackern auf der Terrasse des Hostels. Tatsächlich ist Peniches Umgebung aber viel interessanter als der Ort selbst, also habe ich einige Tagesausflüge gemacht.









Obidos 


Es regnet! Gut für die Natur (im letzten Jahr hat es ab April kein einziges Mal mehr geregnet), aber nicht gut, um Strandspaziergänge zu machen. Nur herumsitzen will ich aber auch nicht, also suche ich mir eine Busverbindung und fahre nach Obidos.


Obidos ist ein nettes kleines Örtchen, das hatte ich schon öfters gehört. Bei den Portugiesen ist er vor allem bekannt, weil von hier der Kirsch-Schnaps kommt, der überall im Land getrunken wird. Auf asiatische Reisegruppen und Busladungen von Touristen war ich nicht vorbereitet.
Obidos ist eine mittelalterliche kleine Stadt mit historischen Stadtmauern, auf denen man herumlaufen und die Aussicht genießen kann. Es gibt eine Burg und unzählige kleine Gassen mit noch kleineren Häuschen, die bunte Türen haben und an deren Fassaden blühende Blumen ranken. Hin und wieder fährt sogar eine Pferdekutsche die Straße auf und ab. Hier könnte man bestimmt tolle Märchen-Filme drehen. Man müsste bloß vorher das Stadttor abschließen und all die Touristen mit Reiseführern und Selfie-Sticks aussperren.
Für mich zerstören die Touristen die Atmosphäre sehr viel mehr als der Regen. Trotzdem ist der Ort wirklich sehr schön. Der berühmte Kirsch-Schnaps wird tatsächlich an jeder Ecke verkauft und stilecht in einem kleinen Becher aus dunkler Schokolade serviert. Schokolade ist hier anscheinend auch eine Spezialität, es gibt sogar einige kleine Schokoladen-Läden. Ein Paradies für Schoko-Fans wie mich!




Berlenga


Vollkommen zufällig bin ich tatsächlich nicht nach Peniche gekommen, denn es gibt einen Ort, den ich auf jeden Fall auf meiner Reise sehen wollte: die Berlenga-Insel. Schon seit Dezember steht diese Insel auf meiner Liste, aber im Winter wird die Fährverbindung dorthin eingestellt. Die Boote zur Insel legen im Hafen von Peniche ab. 

Die Zahl der Menschen, die täglich auf die Insel kommen dürfen, ist begrenzt, aber trotzdem fahren täglich verschiedene Boote dorthin. Ich entscheide mich gegen das moderne Yacht-Boot mit Sonnendeck und das Speed-Boot und kaufe mir stattdessen ein Ticket für die Überfahrt auf einem kleinen, alten Fischkutter. Auf der Fahrt über das offene Meer schaukelt es heftig und einige Passagiere müssen sich übergeben. Mir wird zum Glück nicht übel. 

Schon als wir uns der Insel nähern, kommt es mir vor, als würden wir geradewegs ins Paradies fahren. Vor uns liegen beeindruckende Felsformationen und türkises Wasser. Das Festland ist nur noch schwach am Horizont zu erkennen. 


Auf der Insel leben kaum Menschen und es gibt nur wenige Häuser, dafür umso mehr unberührte Natur und tolle Aussichten. Ich genieße jede Sekunde hier. Trotzdem lässt mich ein Gedanke nicht los: 

Ich gehöre hier nicht hin. Keiner der Touristen gehört hier hin, und schon gar nicht wir alle zur selben Zeit. Die Insel ist ein Natur-Reservat und der Lebensraum unzähliger Tiere. Wirklich, ich habe noch nie so viele Möwen an einem Fleck gesehen! Man darf nur gekennzeichnete Wege betreten und soll sich rücksichtsvoll verhalten. Auf der Insel kommt es mir zwar nie so vor, als wären besonders viele Menschen unterwegs, aber wenn ich daran denke, wie viele Boote täglich am Anleger ankommen, sind es wohl trotzdem über hundert Leute. Zu dieser Jahreszeit brüten die Vögel, und es ist offensichtlich, dass wir nur stören. Die Insel gehört den Tieren, und den Bewohnern von Peniche, die seit Generationen hierher kommen.








Nazaré


Nazaré ist berühmt für die weltweit höchsten surfbaren Wellen und im Winter das Paradies für Big-Wave-Surfer. Im Sommer habe ich es mir ziemlich langweilig vorgestellt, und deshalb nie darüber nachgedacht, dorthin zu fahren. Im Hostel in Peniche wird mir etwas anderes erzählt, also packe ich meine Sachen und ziehe von Peniche weiter nach Nazaré. Eine gute Entscheidung!


Nazaré ist nicht weit von Peniche entfernt, also bin ich davon ausgegangen, die Orte würden ähnlich aussehen. Falsch gedacht! Während Peniche ziemlich trostlos wirkt, ist Nazarés Stadtkern wirklich schön und dazu noch viel größer, als ich angenommen hatte! Es gibt unzählige traditionelle Restaurants, in denen frische Meeres-Spezialitäten angeboten werden, und am Strand hängen die Frauen der Fischer seit Generationen den Fisch zum Trocknen auf. 

Mein Hostel ist nur zwei Minuten vom Strand entfernt. Mit einem Aufzug kann man am Berghang entlang in den oberen Teil der Stadt fahren und von dort aus zum Leuchtturm laufen. „Welcome to the biggest waves in the world!“ steht auf einem Schild. 23 Meter hoch war die höchste Welle, die hier je gesurft wurde. Naja, heute sieht das Meer eher harmlos aus. Aber auch wenn die Wellen nicht viel höher als einen Meter sind, kann man trotzdem erkennen, dass das Meer hier besonders viel Kraft hat.
Im Inneren des Lechtturms gibt es eine Ausstellung mit Surfboards und den Geschichten der Big-Wave-Surfer, die hier im Winter für Rekorde ihr Leben riskieren.
Aber nicht nur wegen der Geschichten über die riesigen Wellen und wegen des schönen Orts hat sich die Reise hierher gelohnt. Hier erfahre ich auch zufällig, dass am nächsten Tag der wichtigste Tag des Festes zu Ehren von Santo Antonio in Lissabon ist. Was nach einem religiösen Fest klingt, soll angeblich eine der größten Partys des Jahres sein. Also, ab zurück nach Lissabon!












Festa de Santo Antonio


„Willkommen in Lissabon, und Willkommen zur verrücktesten Nacht des Jahres!“
Genau so werde ich im Hostel begrüßt. Ich habe immer noch keine Ahnung, was heute Abend eigentlich passiert.
Es ist verrückt.


Sogar der portugiesische Präsident kommt zur Parade am Abend, die Stadt ist so voll wie nie. Ich treffe auf Menschen, die Hüte in Form eines Sardinenkörpers tragen (das Fest wird auch Fest der Sardinen genannt), und nach wenigen Minuten habe ich auch einen auf meinem Kopf.

Alfama, der Stadtteil mit den engsten Gassen und unzähligen Winkeln und steilen Treppen, ist der Mittelpunkt der Party. Überall hängen bunte Girlanden und Fähnchen, an jeder Ecke steht ein Grill. Der Geruch von Sardinen hängt über der Stadt. Sangria-Stände wurden aufgebaut, DJ-Sets, Bühnen mit Live-Musik. Überall ist etwas los. Ganz Lissabon ist auf der Straße und die Party endet nicht. Nach Mitternacht ist es in den Gassen so voll, dass man sich kaum noch bewegen kann, und selbst als ich in den Morgenstunden nach Hause laufe, ist in der Stadt noch so viel los wie mitten am Tag.

Santo Antonio ist Lissabons Stadtheiliger. Was genau er getan hat, weiß ich zwar immer noch nicht, aber fest steht: Eine größere und buntere Party kann sich wohl kein Heiliger wünschen. 














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