In diesem Artikel geht es um das vollkommen flexible Reisen, um die
Orte, die ich dabei gesehen habe, um Paradiese und Monster-Wellen,
vor allem aber auch um das legendäre Festa de Santo Antonio in
Lissabon
Mittlerweile habe ich wirklich viel von Portugal gesehen. Ich war in
den größten Städten und bekanntesten Küstenorten, habe also
nichts, was ich unbedingt sehen müsste. Somit bin ich in diesen zwei
Wochen vollkommen frei. Jemand erzählt mir von irgendeinem schönen
Ort, also fahre ich dort hin. Mir gefällt es irgendwo besonders gut,
also bleibe ich länger. Ich verpasse den Bus, also nehme ich den
nächsten. Oder den in die andere Richtung. Meine Unterkunft buche
ich frühestens auf der Fahrt in den jeweiligen Ort, am liebsten
laufe ich direkt ohne irgendeine Reservierung zu den jeweiligen
Hostels (das ist sogar billiger, als online zu buchen!).
Meine Reise beginnt in Aljezur, dem Ort meines letzten Projekts. Wenn
man in Portugal reisen will, ist es immer sinnvoll, nach Lissabon zu
fahren. Von hier aus gibt es Verbindungen in alle Richtungen. Aber
als ich mir die Fahrtzeiten von Aljezur nach Lissabon ansehe,
entscheide ich mich, die Strecke nicht an einem Tag zu fahren. Für
eine eigentlich nicht besonders lange Strecke braucht der Bus 4
Stunden 30, fährt dabei nicht über die Autobahn, sondern über
kurvige Straßen durch die Hügel und hält in vielen kleinen Orten
an. Ich habe Zeit und entscheide mich für einen Zwischenstopp.
Jemand erzählt mir, in Milfontes sei es schön, und ein Hostel gibt
es dort auch.
Vila Nova de Milfontes
Der Ort ist ohne Auto nur schwer zu erreichen. Es gibt keinen Bahnhof
und nur wenige Busverbindungen, und in Reiseführern wird der Ort nur
selten erwähnt. Somit verirren sich nur wenige ausländische
Touristen hierher. Bei den Portugiesen ist Milfontes dagegen sehr
beliebt.
Der Ort liegt direkt an einer Flussmündung, hat einen schönen
Ortskern und tolle Strände.
Die Stimmung ist sehr entspannt und die Menschen haben die typische
Alentejo-Mentalität (Erklärung: Alentejo heißt die Region südlich
von Lissabon. Ich habe keine Ahnung, warum die Leute hier alles noch
gelassener sehen als im Rest des Landes).Nichts geht schnell, morgens
verlässt man nicht vor 11 das Haus, vieles wirkt irgendwie
improvisiert und selbstgemacht. Ich bin morgens um 9 der erste Kunde
im Supermarkt. Im Regal stehen Produkte aus dem Garten der Kassiererin, die Verkäuferin fängt sofort ein Gespräch an. Ich kaufe frisches Obst und frühstücke am menschenleeren Strand.
Der Ort gefällt mir gut, also werden aus einer Nacht zwei: Ich miete
ein Fahrrad und fahre ins Inland und dort die Hügel hinauf (oder,
wie der Norddeutsche sagt: Die verdammt hohen Berge). Irgendwann
finde ich einen kleinen Weg, bei dem jetzt nicht direkt stand, dass
man dort lang fahren durfte. Es wurde aber auch nicht eindeutig
verboten... Ich klettere einen kleinen Pfad einer Eukalyptus-Plantage
hinunter und komme schließlich am Flussufer an. Die Landschaft ist
wunderschön, und weit und breit ist kein Mensch zu sehen.
Lissabon
Lissabon ist ein guter Ort, um Leute kennenzulernen. Vor allem zu
dieser Jahreszeit ist die Stadt voll von Menschen aus aller Welt. Im
Gegensatz zu Städtetouristen und Weltreisenden, die nur wenig Zeit
haben, muss ich mich nicht stressen. Die Atmosphäre ist toll: Juni
ist nämlich der Monat der Feste und überall in der Stadt gibt es
kleinere Märkte. Ich genieße die Stimmung und die Nächte auf dem
Bairro Alto, Lissabons legendärem Bar-Bezirk. Nach dem Landleben ein
schöner Kontrast! Nach zwei Nächten ziehe ich weiter.
Peniche
Peniche ist bekannt für tolle Surf-Strände. Obwohl ich nicht surfe
und der Ort selbst nicht besonders schön ist, habe ich hier die
längste Zeit verbracht.
Ich beobachte die Surfer und mache lange Strandspaziergänge, laufe
bei einem davon aus Versehen in den Nachbarort (irgendwie den
richtigen Zeitpunkt zum Umkehren verpasst...), ich erkunde die
Halbinsel mit dem Fahrrad und verbringe meine Abende mit anderen
Backpackern auf der Terrasse des Hostels. Tatsächlich ist Peniches
Umgebung aber viel interessanter als der Ort selbst, also habe ich
einige Tagesausflüge gemacht.
Obidos
Es regnet! Gut für die Natur (im letzten Jahr hat es ab April kein
einziges Mal mehr geregnet), aber nicht gut, um Strandspaziergänge
zu machen. Nur herumsitzen will ich aber auch nicht, also suche ich
mir eine Busverbindung und fahre nach Obidos.
Obidos ist ein nettes kleines Örtchen, das hatte ich schon öfters
gehört. Bei den Portugiesen ist er vor allem bekannt, weil von hier
der Kirsch-Schnaps kommt, der überall im Land getrunken wird. Auf
asiatische Reisegruppen und Busladungen von Touristen war ich nicht
vorbereitet.
Obidos ist eine mittelalterliche kleine Stadt mit historischen
Stadtmauern, auf denen man herumlaufen und die Aussicht genießen
kann. Es gibt eine Burg und unzählige kleine Gassen mit noch
kleineren Häuschen, die bunte Türen haben und an deren Fassaden
blühende Blumen ranken. Hin und wieder fährt sogar eine
Pferdekutsche die Straße auf und ab. Hier könnte man bestimmt tolle
Märchen-Filme drehen. Man müsste bloß vorher das Stadttor
abschließen und all die Touristen mit Reiseführern und
Selfie-Sticks aussperren.
Für mich zerstören die Touristen die Atmosphäre sehr viel mehr als
der Regen. Trotzdem ist der Ort wirklich sehr schön. Der berühmte
Kirsch-Schnaps wird tatsächlich an jeder Ecke verkauft und stilecht
in einem kleinen Becher aus dunkler Schokolade serviert. Schokolade
ist hier anscheinend auch eine Spezialität, es gibt sogar einige
kleine Schokoladen-Läden. Ein Paradies für Schoko-Fans wie mich!
Berlenga
Vollkommen zufällig bin ich tatsächlich nicht nach Peniche
gekommen, denn es gibt einen Ort, den ich auf jeden Fall auf meiner
Reise sehen wollte: die Berlenga-Insel. Schon seit Dezember steht
diese Insel auf meiner Liste, aber im Winter wird die Fährverbindung
dorthin eingestellt. Die Boote zur Insel legen im Hafen von Peniche
ab.
Die Zahl der Menschen, die täglich auf die Insel kommen dürfen, ist
begrenzt, aber trotzdem fahren täglich verschiedene Boote dorthin.
Ich entscheide mich gegen das moderne Yacht-Boot mit Sonnendeck und
das Speed-Boot und kaufe mir stattdessen ein Ticket für die
Überfahrt auf einem kleinen, alten Fischkutter. Auf der Fahrt über
das offene Meer schaukelt es heftig und einige Passagiere müssen
sich übergeben. Mir wird zum Glück nicht übel.
Schon als wir uns der Insel nähern, kommt es mir vor, als würden
wir geradewegs ins Paradies fahren. Vor uns liegen beeindruckende
Felsformationen und türkises Wasser. Das Festland ist nur noch
schwach am Horizont zu erkennen.
Auf der Insel leben kaum Menschen und es gibt nur wenige Häuser,
dafür umso mehr unberührte Natur und tolle Aussichten. Ich genieße
jede Sekunde hier. Trotzdem lässt mich ein Gedanke nicht los:
Ich gehöre hier nicht hin. Keiner der Touristen gehört hier hin,
und schon gar nicht wir alle zur selben Zeit. Die Insel ist ein
Natur-Reservat und der Lebensraum unzähliger Tiere. Wirklich, ich
habe noch nie so viele Möwen an einem Fleck gesehen! Man darf nur
gekennzeichnete Wege betreten und soll sich rücksichtsvoll
verhalten. Auf der Insel kommt es mir zwar nie so vor, als wären
besonders viele Menschen unterwegs, aber wenn ich daran denke, wie
viele Boote täglich am Anleger ankommen, sind es wohl trotzdem über
hundert Leute. Zu dieser Jahreszeit brüten die Vögel, und es ist
offensichtlich, dass wir nur stören. Die Insel gehört den Tieren,
und den Bewohnern von Peniche, die seit Generationen hierher kommen.
Nazaré
Nazaré ist berühmt für die weltweit höchsten surfbaren Wellen und
im Winter das Paradies für Big-Wave-Surfer. Im Sommer habe ich es
mir ziemlich langweilig vorgestellt, und deshalb nie darüber
nachgedacht, dorthin zu fahren. Im Hostel in Peniche wird mir etwas
anderes erzählt, also packe ich meine Sachen und ziehe von Peniche
weiter nach Nazaré. Eine gute Entscheidung!
Nazaré ist nicht weit von Peniche entfernt, also bin ich davon
ausgegangen, die Orte würden ähnlich aussehen. Falsch gedacht!
Während Peniche ziemlich trostlos wirkt, ist Nazarés Stadtkern
wirklich schön und dazu noch viel größer, als ich angenommen
hatte! Es gibt unzählige traditionelle Restaurants, in denen frische
Meeres-Spezialitäten angeboten werden, und am Strand hängen die
Frauen der Fischer seit Generationen den Fisch zum Trocknen auf.
Mein Hostel ist nur zwei Minuten vom Strand entfernt. Mit einem
Aufzug kann man am Berghang entlang in den oberen Teil der Stadt
fahren und von dort aus zum Leuchtturm laufen. „Welcome to the
biggest waves in the world!“ steht auf einem Schild. 23 Meter hoch war die höchste Welle, die hier je gesurft wurde. Naja, heute
sieht das Meer eher harmlos aus. Aber auch wenn die Wellen nicht viel
höher als einen Meter sind, kann man trotzdem erkennen, dass das
Meer hier besonders viel Kraft hat.
Im Inneren des Lechtturms gibt es eine Ausstellung mit Surfboards und
den Geschichten der Big-Wave-Surfer, die hier im Winter für Rekorde
ihr Leben riskieren.
Aber nicht nur wegen der Geschichten über die riesigen Wellen und
wegen des schönen Orts hat sich die Reise hierher gelohnt. Hier
erfahre ich auch zufällig, dass am nächsten Tag der wichtigste Tag
des Festes zu Ehren von Santo Antonio in Lissabon ist. Was nach einem
religiösen Fest klingt, soll angeblich eine der größten Partys des
Jahres sein. Also, ab zurück nach Lissabon!
Festa de Santo Antonio
„Willkommen in Lissabon, und Willkommen zur verrücktesten Nacht
des Jahres!“
Genau so werde ich im Hostel begrüßt. Ich habe immer noch keine
Ahnung, was heute Abend eigentlich passiert.
Es ist verrückt.
Sogar der portugiesische Präsident kommt zur Parade am Abend, die
Stadt ist so voll wie nie. Ich treffe auf Menschen, die Hüte in Form
eines Sardinenkörpers tragen (das Fest wird auch Fest der Sardinen
genannt), und nach wenigen Minuten habe ich auch einen auf meinem
Kopf.
Alfama, der Stadtteil mit den engsten Gassen und unzähligen Winkeln
und steilen Treppen, ist der Mittelpunkt der Party. Überall hängen
bunte Girlanden und Fähnchen, an jeder Ecke steht ein Grill. Der
Geruch von Sardinen hängt über der Stadt. Sangria-Stände wurden
aufgebaut, DJ-Sets, Bühnen mit Live-Musik. Überall ist etwas los.
Ganz Lissabon ist auf der Straße und die Party endet nicht. Nach
Mitternacht ist es in den Gassen so voll, dass man sich kaum noch
bewegen kann, und selbst als ich in den Morgenstunden nach Hause
laufe, ist in der Stadt noch so viel los wie mitten am Tag.
Santo Antonio ist Lissabons Stadtheiliger. Was genau er getan hat,
weiß ich zwar immer noch nicht, aber fest steht: Eine größere und
buntere Party kann sich wohl kein Heiliger wünschen.
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